Zum 25. Jubiläum des Freundschaftsvertrags hatte die Landesregierung Rheinland-Pfalz ein deutsch-polnisches Freundschaftsfest organisiert. Dieses war verbunden mit einem vorangehenden Festakt in der Mainzer Staatskanzlei, zu dem die Ministerpräsidentin Dreyer eingeladen hatte und mit dem auch an die 20 Jahre bestehende Partnerschaft des Landes Rheinland-Pfalz mit der Wojewodschaft Oppeln gewürdigt werden sollte.
Der Festakt begann mit einem beschwingten Musikstück, vorgetragen von einem kleinen Saxophonorchester der Chopin-Musikschule Oppeln.
Die Ministerpräsidentin begrüßte zunächst zahlreiche Ehrengäste und lobte besonders die guten Kontakte zur Wojewodschaft Oppeln. Sie würdigte das deutsch-polnische Jugendwerk und erwähnte ausdrücklich den trinationalen Europa-Masterstudiengang in den Universitätsstädten Oppeln, Dijon und Mainz. Sie schloss mit dem Hinweis, dass es doch keinen schöneren Vorabend für das Freundschaftsfest geben könne als das versöhnliche 0:0-Ergebnis des EM Fußballspiels.
Anschließend trug der Generalkonsul der Republik Polen (Jan Sobzcak) in polnischer Sprache (mit Simultanübersetzung) sein Grußwort vor. Er bezeichnete den Vertrag als gelungen und wies auf die Weitsicht polnischer Bischöfe hin, die bereits mitten im Kalten Krieg mit einem Brief „Bitte um Vergebung“ vom 18. November 1965 an die deutsche Bischofskonferenz den ersten Schritt zu einer Annäherung wagten. Erst nach dem Umbruch in Polen konnte dann die deutsche Minderheit auch am St. Annaberg Messen und Wallfahrten in deutscher Sprache feiern.
Der Marschall der Wojewodschaft Oppeln (Andrzej Buła) würdigte die besonderen, guten Beziehungen zwischen seiner Wojewodschaft und Rheinland-Pfalz (ebenfalls mit Simultanübersetzung). Schon in den 70er Jahren hätten diese begonnen; bis zur Unterzeichnung des Freundschaftsvertrags habe man den Dialog gepflegt und ausgebaut. Dabei habe man gelernt, auch über schwierige Probleme zu reden.
Diesen Grußworten schloss sich ein Podiumsgespräch mit Zeitzeugen an, zweisprachig moderiert von Thomas Kycia (geboren 1974 in Gleiwitz, seit 1988 in Deutschland, u.a. freier Mitarbeiter des Senders rbb). Seine Einführung begann mit aktuellen Ergebnissen einer Umfrage zu gegenseitigen, sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Polen und Deutschen übereinander. Heute könne man ungezwungen über diese Stereotypen reden und schmunzeln. Es folgten historische Bezüge mit Filmszenen von Andrzej Klamt.
Noch mit dem letzten kommunistischen Ministerpräsidenten Rakowski ergab sich im Januar 1988 durch Gespräche in Bonn zusammen mit dem Bundekanzler Kohl ein Neuanfang der Beziehungen. Dabei spielte auch die Zusage Gorbatschows eine Rolle, dass sich die Sowjetunion bei dem im Warschauer Pakt vorhersehbaren Transformationsprozess nicht in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten einmischen werde; die Bonner Gespräche wurden somit ein Testfall für die zugesagte Nichteinmischung.
J. K. Bielecki, vom 12. Januar bis 5. Dezember 1991 zweiter, nichtkommunistischer Ministerpräsident der Republik Polen nach dem 2. Weltkrieg, begann seinen Einstieg in die Podiumsdiskussion mit einer Anekdote. Kohl wusste von seiner Fußballleidenschaft und schenkte ihm ein Paar Fußballschuhe, bis heute unvergessen. Sein überhaupt erster Besuch in Deutschland war durch die Einladung deutscher Gewerkschaften zustande gekommen. Bielecki erwähnte den Streik auf der Danziger Lenin-Werft im August 1980, an dem er als Berater der Streikenden in dem Gefühl von Aussichtslosigkeit beteiligt war. Er wies auf die denkwürdige Paketaktion mit Spenden zahlreicher westdeutscher Bürger vom Sommer 1980 bis 1982 hin. Angesichts einer massiven Wirtschafts- und Versorgungskrise wurden damals über 4 Millionen Spendenpakete von Deutschland nach Polen geschickt, was sich dort auf das Bild über die Deutschen positiv auswirkte. Er verwies auf weitere, wichtige Etappen der deutsch-polnischen Annährung: Der Versöhnungsgottesdienst in Kreisau am 12. November 1989 zusammen mit Helmut Kohl und den deutsch-polnischen Grenzvertrag vom 14. November 1990. So konnten schließlich deutsch-polnische Verhandlungen auf gleichem Niveau mit dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag am 17. Juni 1991 (kurz auch Freundschaftsvertrag genannt) erfolgreich abgeschlossen werden.
Dr. A. Rödder, Professor für neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität, hob die Wichtigkeit des Freundschaftsvertrags aus historischer Sicht hervor. Dann griff er die Bemerkung von J. Bielicki auf, man hätte den Streik auf der Danziger Lenin-Werft mit dem Gefühl von Aussichtslosigkeit durchgeführt. Er zählte als typisch für Polen weitere historische Beispiele dafür auf, nicht nur den Warschauer Aufstand im Spätsommer 1944, als die Sowjetarmee am anderen Weichselufer abwartete, bis der Aufstand von deutschen Truppen niedergeschlagen war. Diese Einstellung der Polen sei historisch als Tradition der Unbeugsamkeit auch in aussichtsloser Position bemerkenswert.
Prof. Dr. h.c. H. Teltschik ging als damaliger Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers Kohl für die Verhandlungen mit Polen auf hochinteressante Details im Vorfeld der Verhandlungen zum Freundschaftsvertrag und die Verhandlungen selbst ein. Am 14. November 1990 wurde der deutsch-polnische Grenzvertrag geschlossen, am 29. August 1991 in Weimar die Gemeinsame Erklärung der Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen zur Zukunft Europas vereinbart (Weimarer Dreieck). Dazwischen lag der Freundschaftsvertrag vom 17. Juni 1991. Kanzler Kohl und Außenmister Genscher lag daran, langfristig zu Polen ein ähnlich gutes Nachbarschaftsverhältnis zu entwickeln, wie es nach dem 2. Weltkrieg zu Frankreich aufgebaut wurde. Als Polen nach dem Umbruch erstmals eine dortige deutsche Minderheit anerkannt hatte, war ein weiterer Schritt der Annäherung getan.
Bei den Vorbesprechungen wurde Bundekanzler Kohl und dem polnischen Ministerpräsidenten Bielecki deutlich, dass es ratsam sei, die Vertragsverhandlungen nicht auf Außenminister-Ebene zu führen, weil dann zu viele Personen beteiligt würden und das Risiko bestünde, dass zu früh Informationen nach außen dringen würden. Beide einigten sich darauf, nur über einen jeweiligen Bevollmächtigten zu verhandeln und Kohl habe gesagt: Meiner sitzt gerade neben mir: H. Teltschik. Es ging um so heikle Fragen wie den „Jumbo-Kredit“, wobei angesichts leerer Devisenkassen Zahlungsverpflichtungen der Republik Polen (570 Millionen Mark aus dem Jumbo-Kredit) in einen Złoty-Stiftungsfonds umgewandelt wurden, aus dem u.a. wesentliche Mittel in das deutsch-polnische Jugendwerk flossen. Zu klären war auch der Umgang mit der deutschen Minderheit. Für den Vertrag waren zu berücksichtigen die gemeinsame europäische Zukunft, die zukünftigen Beziehungen zu Russland, der Umgang mit kulturellen Fragen sowie kulturellen Unterschieden („erkennen und darüber reden, offene Debatten führen“) und die Frage: Wo wollen wir hin?
Der Vertrag wurde für 10 Jahre geschlossen und bisher dreimal für je fünf Jahre verlängert. Um solche Verträge am Leben zu halten, müssen sie auch gelesen werden, vor allem von Nachfolge-Regierungen, da bei diesen immer wieder der Eindruck entsteht, sie würden von vorne anfangen. Und die Zukunft? Da war zu hören: Für Europas Zukunft gibt aus vielerlei Gründen Anlass zur Sorge.
Als dunkle Wolken aufzogen, beendete der Moderator die Diskussionsrunde, u.a. mit Hinweis auf das draußen vorbereiteten Bürgerfest. Wohl auch deshalb kamen dann keine Fragen aus dem Publikum.
Die Schlussrunde wurde von der Ministerpräsidentin Dreyer mit Dank an die Referenten und Diskutanten sowie der Hoffnung auf ein weiteres Gedeihen der Zusammenarbeit zwischen Bürgern aus Polen und Rheinland-Pfalz eingeleitet. Der ehemalige Ministerpräsident Bielecki bedankte sich für die Einladung bei der Gastgeberin mit Handschlag. Dem Berichterstatter fiel auf: ohne Handkuss – der noch vor 25 Jahren in Polen auch unter Jugendlichen weit verbreitet war, aber nun wohl der Globalisierung zum Opfer gefallen ist.
Beim Verlassen der Staatskanzlei konnte der Berichterstatter Herrn Teltschik die Frage stellen, warum denn der Versöhnungsgottesdienst, zu dem der Erzbischof von Oppeln, (Alfons Nossol) auf den Annaberg eingeladen hatte, nach Kreisau verlegt worden sei. Es hatte dazu damals weitverbreitete Kritik am Bundeskanzler in der Deutschen Presse gegeben, obgleich es ja um eine Einladung an ihn gegangen war. Antwort: Leider nahmen die Vorbehalte in Polen zum Ort des geplanten Versöhnungsgottesdienstes derart zu, dass es zu einem Rückzieher gekommen sei. Die Bundesregierung hätte dies zurückgehalten, um Polen nicht zu brüskieren; lieber wäre gewesen, der Plan Annaberg wäre nicht einseitig aufgekündigt worden. Schließlich habe man sich auf Kreisau geeinigt.

Der Stand des Mainzer Polonicums beim Freundschaftsfest. Bildquelle: Mainzer Polonicum
Zum Bürgerfest
Im Innenhof der Staatskanzlei waren in zwei Reihen viele Stände aufgebaut, mit Kulinarik- und Wein-Angeboten sowie Informationsständen über Polen, speziell Oppeln und Rheinland-Pfalz. Ein Stand kredenzte original Żywiec-Bier, ein binationaler Stand aus Nieder-Olm informierte über die Partnerstadt Głuchołazy, dort engagierten sich die Eheleute Bohlender (Mitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Mainz-Wiesbaden) mit aus der schlesischen Partnerstadt angereisten Gästen für die Besucher. Ein weiterer Stand des Mainzer Polonicums (Johannes Gutenberg-Universität) wurde von Frau Mgr. Derecka-Weber (ebenfalls Mitglied der DPG Mainz-Wiesbaden) und zahlreichen, fröhlichen Studierenden betreut.
Am Ende der beiden Standreihen war eine Bühne für Ansprachen und musikalische Darbietungen (u.a. von polnischen Musikgruppen und Sängerinnen) aufgebaut.
Bis etwa 16:45 herrschte reger Besucherbetrieb. An zahlreichen vollbesetzten Tischen sah man Teilnehmer, die sich an den kulinarischen Köstlichkeiten und Getränken erfreuten. Als dann ein Platzregen losbrach, flüchteten sich viele Besucher unter das Zeltdach der Stände oder in die Staatskanzlei, um anschließend draußen weiter zu feiern.
Insgesamt mit den Ehrengästen beim Festakt und den Teilnehmern am anschließenden Bürgerfest ein wohltuendes Symbol der guten nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Rheinland-Pfalz und unserem östlichen Nachbarland, speziell den Partnern aus Schlesien. Zu dieser von der Landesregierung vorzüglich geplanten und durchgeführten Veranstaltung war in der Mainzer Allgemeinen Zeitung keine einzige Zeile zu finden.
H.-V. Ulmer

Der Autor des Berichts, Hans-Volkhart Ulmer, zusammen mit Iwona Derecka-Weber, zwei Mitglieder der Deutsch-Polnischen Gesellschaft beim Freundschaftsfest in Mainz. Bildquelle: Mainzer Polonicum
Links:
Presseerklärung der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz
Schriftwechsel von H.-V. Ulmer mit dem Chefredakteur der Mainzer Allgemeinen Zeitung