Agnieszka Kowaluk: „Du bist so deutsch! Mein Leben in einem Land, das seine Tugenden nicht mag.“

Bericht von der Lesung und Diskussion mit der Autorin im Rahmen einer Veranstaltung des Studiums generale der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Deutsch-polnischen Gesellschaft Mainz-Wiesbaden am 6.6.2016 (Moderation Prof. Dr. Renata Makarska):

Die Veranstaltung begann mit einer originellen Befragung durch die Moderatorin, die der Autorin mehrere Stichworte mit Bezug zum Buch präsentierte – offensichtlich, ohne diese vorher abgesprochen zu haben. Ersichtlich wurde dies u.a., als es um das Stichwort Kreativität ging und die Autorin meinte, sie könne sich nicht daran erinnern, dass dieses Wort überhaupt in ihrem Buch vorkäme. Schon im Vorlauf zur Lesung erlebten so die 22 Zuhörer ein Feuerwerk facettenreicher Antworten. Der Berichterstatter zuckte zunächst zusammen, als zum Stichwort Heimat mit Heimaten im Plural geantwortet wurde. Bald wurde mit den Ausführungen der Autorin und in der späteren Diskussion deutlich, dass dies ja nicht nur für die Autorin, sondern auch für viele Zuhörer galt.

Nach etwa einer halben Stunde des originellen Frage-Antwort-Wortspiels trug dann die Autorin etliche Abschnitte aus ihrem Buch vor, ergänzt von der Moderatorin, die auch noch einige Lieblingspassagen zu Gehör bringen wollte, u. a. eine, in der das Schmunzeln auslösende Stichwort „Kreativität“ vorkam.

Nach einer weiteren halben Stunde schloss sich dann eine lebhafte, facettenreiche Diskussion an. Dabei ging es u. a. um Probleme der Übersetzer; im Umfeld von Polnisch und Deutsch ist diese Tätigkeit mit viel Idealismus verbunden und nur in Einzelfällen kann damit ein Lebensunterhalt verdient werden. Die Übersetzungstätigkeit spielt sich aber nicht im stillen Kämmerlein vor dem Bildschirm ab, vielmehr verfügt jeder Übersetzer über ein Netzwerk Gleichgesinnter, unter denen bei schwierigen Textstellen Rat eingeholt werden kann. Die Autorin hat mehrfach anspruchsvolle Literatur ins Polnische übersetzt; legte aber begründet dar, weshalb sie kein polnisches Buch ins Deutsche übersetzen würde – und ihr eigenes nicht in die polnische Sprache. Zum Thema Heimat führt sie aus: Bis zum Studium der Germanistik in Warschau gab es für sie nur polnische Wurzeln, ein DAAD-Stipendium erlaubte ihr dann zwei Tage nach der Wiedervereinigung einen Gastaufenthalt in Deutschland und nach mehreren Aufenthalten in diesem Land blieb sie schließlich hier. Zuerst Polin, und nun Münchnerin, ohne ihre polnischen Wurzeln zu verleugnen. Die Tochter sprach in den ersten Lebensjahren eher Polnisch (eben die Muttersprache), in der Gymnasialzeit fühlte sie sich dann wie die Mutter als Münchnerin. Wenn aber in der Schule Fragen zu Polen auftauchten, ergriff sie das Wort. Später – fern in San Francisco – schrieb sie der Mutter dann Briefe in polnischer Sprache.

In diesem Kurzbericht können nicht alle Themen des spannenden Abends wiedergegeben werden. Unter den Teilnehmern befanden sich viele „Grenzgänger“, die mit Wurzeln im heutigen Polen nun ihre Heimat in Deutschland gefunden haben und die sich von der Autorin sehr angesprochen fühlten. Etlichen Studierenden, z. T. aus dem Polonicum, wurde bewusst gemacht, wie im positiven Sinne spannend die deutsch-polnische Vergangenheit sein kann und welcher gemeinsame Weg mit dem östlichen Nachbarn noch zu bewältigen ist, bis der Umgang genauso ungezwungen wird wie mit dem westlichen Nachbarn Frankreich. Dabei spielen Spracherwerb und Sprachkenntnisse eine große Rolle, eine Chance für die zweite Generation der in Deutschland Lebenden mit polnischen Wurzeln.

Den Schlusspunkt setzte die Moderatorin mit dem Begriff erste Heimat, der dann die zweite in Deutschland bzw. München folgte.

Frau Derecka-Weber vom Mainzer Polonicum hatte mit der Einladung von Autorin und Moderatorin wieder ein sehr gutes Händchen bei dieser jährlichen Veranstaltung im Rahmen des Studium generale (Mainz) gezeigt.

H.-V. Ulmer, Mainz

Link zum Buch: Agnieszka Kowaluk: „Du bist so deutsch! Mein Leben in einem Land, das seine Tugenden nicht mag.“

Eine Kritik zum Buch: M. Lehmann-Pape: „Agnieszka Kowaluk – Du bist so deutsch. Humorvoller Blick auf sichtbare Dinge des Seins.“

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